Rückblick: “Neuer Wind in Herxe”

An drei Wochen­en­den im Sep­tem­ber war das gro­ße Sta­tio­nen­thea­ter “Neu­er Wind in Her­xe”, im Rah­men der 1250-Jahr­fei­er in Herx­heim zu sehen. Die neue­re Geschich­te des Ortes soll­te im Zen­trum ste­hen und mit der gemein­sa­men Arbeit der Zusam­men­halt der Herxheimer*innen über die Gene­ra­tio­nen gestärkt wer­den. Das ist auf beein­dru­cken­de Wei­se gelun­gen. 140 thea­ter­be­geis­ter­te Bürger*innen haben zwei Jah­re lang in ihrer Frei­zeit dar­an gear­bei­tet, ein hoch­ge­lob­tes und beju­bel­tes Sta­tio­nen­thea­ter im Orts­kern von Herx­heim auf die Bei­ne zu stel­len. An sechs Sta­tio­nen konn­ten die Zuschau­en­den an einer Zeit­rei­se durch die letz­ten 70 Jah­re im Groß­dorf teil­neh­men. Zu sehen war die Geschich­te einer Cli­que von fünf fik­tio­na­len Herxheimer*innen: Bet­ty, Han­ne, Max, Ria und Robert.

An der ers­ten Sta­ti­on im Hof Her­zen­stiel war zu sehen wie alles beginnt im Jahr 1956, als Bür­ger­meis­ter Det­zel und sei­ne „Vor­zim­mer­da­me“ sehr auf­ge­regt sind. Die bei­den erwar­ten Besuch, näm­lich die Gebrü­der Jäger, die beab­sich­ti­gen, den Fir­men­sitz ihrer Fir­ma Akkord-Radio von Offen­bach bei Frank­furt nach Herx­heim zu ver­le­gen. Ein paar Jah­re spä­ter, 1964, spie­len sie schon zusam­men: Die Kin­der von den alt­ein­ge­ses­se­nen Herx­hei­mer Fami­li­en und die von den zuge­zo­ge­nen Ingenieur*innen und Arbeiter*innen von Akkord. Bei Ochs am Berg, Fuß­ball und Gum­mi­twist ver­han­deln Bet­ty, Ria, Han­ne, Max und Robert spie­le­risch, wie sich der Ort vom Bau­ern­dorf zu einem auf­stre­ben­den Wirt­schafts­stand­ort wan­delt. Vor­ur­tei­le und Kon­flik­te der Erwach­se­nen machen vor dem Spiel der Kin­der nicht Halt: Wer darf mit­spie­len, wer nicht? Wer ist der Bestim­mer? Die 60er-Jah­re-Revue-Pas­sa­gen an die­ser Sta­ti­on bekom­men viel Schwung durch die musi­ka­li­sche Beglei­tung der Kul­tus­ka­pel­le Hayna.

An der zwei­ten Sta­ti­on im Chaw­we­rusch Thea­ter­saal wis­sen es die Fünf schon ganz genau: Wir machen’s anders! 1975 haben sie ihr Abitur oder ihre Aus­bil­dung in der Tasche und sind sich in einem Punkt einig: Die gru­se­li­gen Gespens­ter der Ver­gan­gen­heit, übers­tren­ge Eltern, prü­geln­de Leh­rer und sadis­ti­sche Non­nen und Pfar­rer wol­len sie weit hin­ter sich las­sen. Zwar ver­sucht die­se alte Gar­de immer wie­der Ein­fluss auf sie zu neh­men, aber die Träu­me und Wün­sche der frisch­ge­ba­cke­nen Erwach­se­nen wir­ken wie ein guter Gegen­zau­ber. Sie fei­ern aus­ge­las­sen ihre Voll­jäh­rig­keit und erzäh­len sich, was sie vor­ha­ben. Mehr oder weni­ger alle pla­nen, dem doch manch­mal sehr engen Dorf­le­ben und ihren Fami­li­en zu ent­flie­hen, um in der Welt da drau­ßen ihr Glück zu suchen.

1989 – Ein Jahr vol­ler Ver­än­de­run­gen auch in Herx­heim, denn dort soll der Dorf­mit­tel­punkt neu gestal­tet wer­den. An Sta­ti­on 3, der Außen­fas­sa­de des St. Josefs­heim, dis­ku­tiert der Gemein­de­rat heftig über den Ent­wurf eines Brun­nens. Das Publi­kum auf der Stra­ße ver­folgt die Strei­te­rei­en, bei denen es unter ande­rem um ein Bron­ze-Ein­horn geht, des­sen Horn, ein mit­tel­al­ter­li­ches Phal­lus­sym­bol, im katho­li­schen Herx­heim doch eigent­lich nichts ver­lo­ren hat, oder? Aber nicht nur der Dorf­brun­nen soll in Herx­heim für mehr Kul­tur sor­gen, son­dern zum Bei­spiel auch die Kunst­schu­le oder das neu­an­ge­sie­del­te Thea­ter. Könn­te man das Geld nicht bes­ser inves­tie­ren, zum Bei­spiel in eine Umge­hungs­stra­ße oder ein Indus­trie­ge­biet? Die als Kind so schüch­ter­ne Ria hält eine flam­men­de Rede für die Kul­tur und am Ende rol­len komi­sche klei­ne Autos durch die Stra­ße – Trab­bis, wo kom­men die denn her?

In Sta­ti­on 4 hin­ter der Chaw­we­rusch Pro­be­büh­ne geht es um die archäo­lo­gi­schen Fun­de in Herx­heim, die welt­weit Beach­tung fan­den. Als Mit­te der 90er Jah­re Scher­ben und mensch­li­che Über­res­te aus der Jung­stein­zeit gefun­den wer­den, wird der Ort plötz­lich berühmt in der Fach­welt, aber auch berüch­tigt in der Pres­se: „Die Men­schen­schlach­ter von Herx­heim“ oder gar „Pfäl­zer Kan­ni­ba­len“. Robert aus der Cli­que aller­dings hat vor allem eine Sor­ge: Wenn das gewinn­brin­gen­de Bau­land für das neue Indus­trie­ge­biet nun plötz­lich eine kos­ten­in­ten­si­ve Aus­gra­bungs­stel­le ist, dann wer­den sich die Inves­to­ren ruck zuck ver­ab­schie­den und der wirt­schaft­li­che Auf­schwung fin­det in Rohr­bach statt! Doch als er sich gra­de beim Aus­gra­bungs­lei­ter beschwe­ren will, ent­puppt die­ser sich als Max, der nach dem Abitur nach Ber­lin gegan­gen ist und seit­dem nicht mehr hier war. Der frü­he­re Spiel­ka­me­rad ist nun pro­mo­vier­ter Archäo­lo­ge und erklärt Robert und auch Ria und Bet­ty, die hin­zu­kom­men, die Bedeu­tung der Fun­de. Mit sei­nen Erzäh­lun­gen öff­net sich ein Fens­ter in die Vor­zeit: Fünf Band­ke­ra­mi­ke­rin­nen zele­brie­ren den beson­de­ren Bestat­tungs­ri­tus, der die Hin­ter­blie­be­nen trös­ten soll und erklä­ren ganz neben­bei, war­um so vie­le Schä­del auf­ge­bro­chen gefun­den wurden.

Sze­ne 5 im Hof von Zahn­arzt Lech­ner spielt am 11. Dezem­ber 2015 im ehe­ma­li­gen Café „Schwa­nen“, einer Flücht­lings­un­ter­kunft für Men­schen aus vie­len Natio­nen. Eine Woche zuvor gab es einen Brand­an­schlag auf die geplan­te Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung in Herx­heim. Einen Tag zuvor gab es ein Feu­er im Wald­sta­di­on, in dem Geflüch­te­te unter­ge­bracht waren. Bet­ty, die Herx­heim­BUNT mit ins Leben geru­fen hat, kommt in den Schwa­nen mit der guten Neu­ig­keit, dass es jetzt einen inten­si­ven Deutsch­kurs geben wird. Für die Geflüch­te­ten Fari­ba, Kam­ran und Dja­mal sind die Anschlä­ge eine Bedro­hung, sol­len sie Herx­heim wie­der ver­las­sen oder sind sie hier sicher? Am Ende gehen alle auf die Kund­ge­bung vor dem Rat­haus. Vie­le Men­schen ver­sam­meln sich dort um für ein offe­nes Herx­heim einzustehen.

Bei der letz­ten Sta­ti­on im Park der Vil­la Wie­ser ver­mi­schen sich Gegen­wart und eine zuver­sicht­li­che Ver­si­on der Zukunft in Herx­heim. Der neue Wind, der in jeder Sta­ti­on für Ver­än­de­run­gen gesorgt hat, weht nun an Sta­ti­on 6 ein Braut­paar von zwei Män­nern zum Trau­al­ter: Max hat sei­nen Traum­mann Micha­el gefun­den und will ihn katho­lisch hei­ra­ten. Wäh­rend die Kin­der Blu­men streu­en und die Kapel­le noch für den gro­ßen Hoch­zeits­marsch übt, wer­den alte Geschich­ten zu Ende erzählt und hoff­nungs­vol­le Zukunfts­sze­na­ri­en gemalt. Die Cli­que hält immer noch zusam­men, über frü­he­re Strei­tig­kei­ten und miss­lun­ge­ne Aktio­nen wird heu­te mil­de gelä­chelt. Aber Han­ne fehlt, sie ist im Ein­satz für Ärz­te ohne Gren­zen ums Leben gekom­men. Von der Stra­ße ertö­nen die Trom­meln der Quer­den­ker, dar­über regen sich sogar die Brun­nen­fi­gu­ren auf. Auch 2023 ist in Herx­heim nicht alles zum Bes­ten und die Fra­ge, wohin der Wind weht, bleibt offen. Aber jetzt wird erst­mal Hoch­zeit gefei­ert! Unter den schrä­gen Gug­ge­mu­sik-Klän­gen fol­gen alle sin­gend und klat­schend den bunt­kos­tü­mier­ten Musi­kern von Schlag-Art Pfalz und der Kul­tus­ka­pel­le Hay­na e.V..

Die Zuschau­en­den konn­ten ihrer­seits im Muse­ums­hof wei­ter­fei­ern, dort sorg­te die Kol­ping­s­ka­pel­le Herx­heim e.V. nach jeder Vor­stel­lung für Bewirtung.